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Autorenbild: Jan-Christoph HauschildJan-Christoph Hauschild

Adenauer beugt sich nach vorn und tippt auf den blauen Aktendeckel, der vor ihm auf dem Tischchen liegt. „Immer besser, sowas selbst in die Hand zu nehmen.“

 

„Sie wollen Ihren eigenen Nachruf vorbereiten?“

 

„Ich will nicht bloß, ich habe. Und weil es eine heikle Sache ist, habe ich ihn selbst verfasst.“

 

„Das ist ungewöhnlich. Sie werden Ihre Gründe haben, Herr Bundeskanzler.“

 

„Das dürfen Sie annehmen. Nun wird es ja nicht nur den einen verbindlichen, gewissermaßen autorisierten Nachruf geben. Aber es gibt zweifellos solche, die mehr, und solche, die weniger Beachtung finden werden. Ich bin der Ansicht, dass – vor allem im Ausland – der „Spiegel“ des Herrn Augstein stark gelesen wird. Nicht dass Sie mich falsch verstehen, Herr Schwaderlapp. Von dem Schmutzblatt halte ich sonst rein gar nichts. Zum Glück macht sich das ja irgendwann von selbst kaputt.“

 

Befriedigt konstatiert Adenauer, dass sein Gegenüber durch braves Nicken Zustimmung signalisiert.

 

„Aber der Nachruf im „Spiegel“ wird kommen, totensicher. Und da habe ich ihn lieber gleich selbst geschrieben. Sie, mein Lieber, werden ihn dann an die zuständige Stelle gelangen lassen. – Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir große Mühe gegeben habe, dabei den hauseigenen Stil vom „Spiegel“ zu treffen. Die Artikel sind ja alle nach dem gleichen Muster gestrickt. Das fängt schon mit der Überschrift an. Stabreime, wohin man sieht. Sie wissen, was ein Stabreim ist? „Erhards Ermächtigungsgesetz.“ Zweimal E. Oder „Wirtschafts-Wundermann ohne Wählergunst.“ Drei W. Nein, Sie können ja nicht alles wissen. Dann gibt es ständig Zitate mit wörtlicher Rede, die Leuten aus dem Umkreis in den Mund gelegt werden. Meistens wahrscheinlich erfunden oder zumindest verfälscht. In meinem Fall scheint es darüber hinaus eine Anweisung von Augstein zu geben, meinen Namen erst dann ein zweites Mal zu erwähnen, wenn er zwischendurch mindestens dreimal durch Synonyme ersetzt worden ist.“

 

„Durch Antonomasien“, wirft Schwaderlapp ein, bereut seine Vorwitzigkeit aber sogleich wieder.

 

„Ganz wie Sie meinen. Ohne dem geht es praktisch nicht.“

 

Adenauer öffnet den Aktendeckel und entnimmt ihm ein einzelnes Blatt. „Ich hab mir diese meine Antodingens mal rausgeschrieben. Bloß mal aus den letzten vier, fünf Jahren. Der Exkanzler. Der Rosenliebhaber. Der gebürtige Kölner. Der langjährige Partei- und Regierungschef. Der 88-Jährige, der 89-Jährige, der 90-Jährige, der 91-Jährige, der 92-Jährige. Und so weiter. Zwei Dutzend Ersatzwörter für meine Person, und alles bloß, damit mein Name nicht so oft genannt wird.“

 

„Es gehört wohl zum journalistischen Schreiben, für kurze Pronomina einprägsame Stellvertreter zu finden“, wendet Schwaderlapp vorsichtig ein. „Auch wenn sie, wie hier… nahezu reißerischen Charakter haben.“

 

„Meinen Sie?“ Für einen Moment verdüstert sich Adenauers Gesicht. „Und was ist mit Vorkämpfer der Vereinigten Europäischen Staaten? Wäre das nicht auch ein passendes Antodingsbums gewesen? Aber darauf kann ich lange warten.– Nein, Herr Schwaderlapp“, fällt er diesem ins noch nicht ausgesprochene Wort, „Sie sehen mal wieder das Häschen, und ich sehe den Mimofanten. Aber egal. Sie sind hier, damit ich Sie mit dem Ergebnis meiner Arbeit bekannt machen kann. Betrachten Sie es getrost schon jetzt als ihr eigenes Werk. Sie werden sich dessen nicht schämen müssen.“

 

Abermals öffnet er den Aktendeckel und entnimmt ihm einen Bogen Kanzleipapier, der von oben bis unten mit seinen engen, steilen Schriftzügen bedeckt ist. „Hier“, sagt er und reicht das Manuskript dem Privatsekretär, der es scheu entgegennimmt. „Und lesen Sie laut vor.“

 

„Gestorben“, liest Schwaderlapp nach einem kurzen Räuspern und blinzelt nervös. Ihm ist unbehaglich zumute. „Konrad Hermann Joseph Adenauer, Doktor ehrenhalber, Bundeskanzler außer Diensten, katholisch (92). Eigentlich hatte Konrad Adenauer am –“

 

„Das sind Auslassungspunkte“, wirft Adenauer erläuternd ein. „Genauer Termin wird noch bekanntgegeben“, fügt er mit grimmigem Lächeln hinzu.

 

„Ihr Humor, Herr Bundeskanzler“, bemerkt Schwaderlapp unsicher, „ist, wenn ich das sagen darf, geradezu kaustisch“.

 

„Weiter“, sagt Adenauer ungeduldig.

 

„Eigentlich hatte Konrad Adenauer am Pünktchen Pünktchen Pünktchen“, nimmt Schwaderlapp den Faden wieder auf, „wieder einmal seiner jüngsten Leidenschaft, dem Angeln, nachgehen wollen. Laut Aussage von Kanzler-Chauffeur Peter Scharoun ließ sich der Rhöndorfer Pensionär in letzter Zeit häufig zum Rheinufer fahren, um dort in Gesellschaft weiterer Petrijünger mit einer einfachen –“ Schwaderlapp zögert, schaut Adenauer fragend an: „Augapfel?“

 

„Stippangel!“

 

 „– einer einfachen Stippangel Jagd auf Raubfische zu machen. Auch hierbei bewies er wie stets eine glückliche Hand. Scharoun: Erst neulich brachte mir der Chef einen Zander, einen Achtpfünder, armdick und mindestens 60 cm lang. Doch in der Nacht zuvor verstarb der Bundespatriarch, mutmasslich an Weltorganisa –“

 

„Multiorganversagen“, korrigiert Adenauer.

 

„–Multiorganversagen nach einer Reihe von Gallenkoliken“, fährt Schwaderlapp fort. „Adenauers Hausärztin Dr. Ella Klepper sieht einen Zusammenhang mit der Arbeit am Schlusskapitel des vierten Bandes seiner Memoiren, das ausführlich von seinem erzwungenen Rücktritt und der Wahl seines Nachfolgers Prof. Erhard handelt. Dr. Klepper: Der Bundeskanzler hat sich buchstäblich totgeärgert. Nach Bekanntgabe seines Hinscheidens purzelten die Kurse an der Frankfurter Börse.“

 
 
 

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